Das (vorerst) letzte Gefecht: 1849

VON HEINZ SIEBOLD

 

Die Hoffnung der Demokraten, auf parlamentarischem Wege zu erwirken, was im revolutionären Ansturm des März und April nicht gelang, ruht nun auf den Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt, die am 18. Mai 1848 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammentreten: Die Errichtung eines demokratischen gesamtdeutschen Staatswesens, das politische Freiheit und Volkssouveränität garantiert. Die Mehrheit der Parlamentarier votiert für eine konstitutionelle Monarchie. Über den Umfang des Staatswesens - Großdeutschland einschließlich Österreich oder “kleindeutsche Lösung” unter Führung Preußens - und über die Befugnisse der Zentralgewalt entbrennen langwierige Debatten. Weniger umstritten ist der Katalog der Grundrechten, die erstmals persönliche und politische Freiheiten in allen Staaten des Deutschen Bundes sichern soll. 

 

Die Reaktion gewinnt Oberhand

 

Im Herbst 1848 gewinnen jedoch überall in Europa die reaktionären Kräfte wieder die Oberhand. Seit der Niederschlagung der Arbeiteraufstände in Paris im Sommer 1848 hat die französische Republik ihre revolutionäre Vorbildfunktion verloren. Die nationalrevolutionären Aufstände in Ungarn, Italien und in Polen werden von Österreich und Rußland niedergeschlagen. In Österreich beenden die kaisertreuen Militärs die Revolution mit Waffengewalt. Die Erschießung von Robert Blum, Abgeordneter der deutschen Nationalversammlung und nach Heckers Scheitern Hoffnungsträger der Linken, verdeutlicht mehr als alles andere, was die Monarchen von den demokratischen Regungen halten. Der standrechtlich am 9. November 1848 in Wien vollzogene Mord an Blum schockiert die Demokraten in allen deutschen Ländern. Die Leichen- und Gedächtnisfeiern werden zu politischen Demonstrationen. Am 10. Dezember 1848 findet auch in Freiburg unter großer Beteiligung eine Trauerfeier statt. Rechtsanwalt Karl Friedrich Heunisch ist der verantwortliche Organisator der Veranstaltung. 

 

Am 27. Dezember 1848 verkündet die deutsche Nationalversammlung die Grundrechte, die Anfang Januar folgenden Jahres in Kraft treten sollen. § 30 dieser künftigen Reichsverfassung besagt: “Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.” Mit dieser verfassungsmäßigen Rückendeckung beginnen die radikalen Demokraten, ihre Organisationsstruktur wieder zu beleben. 

 

An der Spitze der Volksvereine steht jetzt der Mannheimer Rechtsanwalt und Kammerabgeordnete Lorenz Brentano, der als Verteidiger Heckers an dessen Popularität teilnimmt. Brentano ist auch Abgeordneter der Nationalversammlung und auf Grund dieser Ämterhäufung jedoch nicht in der Lage, die Volksvereine tatsächlich zu führen. Der wirkliche Leiter ist Amand Goegg, der zweite Vorsitzende. Er legt in kürzester Zeit ein Netz von demokratischen Vereinen über das ganze Land, um die neuerliche Revolution vorzubereiten. In kurzer Zeit gehören 400 Volksvereine mit 35.000 Mitgliedern, gegliedert in Bezirks- und Kreisvereinigungen dem Landesverband an. Selbst in den kleinsten Dörfern werden Volksvereine gegründet. Der größte Ortsverein ist der in Mannheim mit 2000 Mitgliedern. 

 

Im Frankfurter Paulskirchenparlament gerät die konstitutionell-demokratische Mehrheit mit ihrer Politik in eine Sackgasse. Im Schatten ihrer Unentschlossenheit und Widersprüchlichkeit erholen sich die geschwächten Dynastien und verhindern wirksame Reformen, die dem parlamentarischen Weg Glaubwürdigkeit verliehen hätten. Stattdessen kommt die Paulskirche in den Ruf einer ohnmächtigen und überflüssigen “Schwatzbude” . 

 

Anklage gegen Struve

 

Anfang März 1849 wird die Anklageschrift gegen Gustav Struve und Karl Blind bekannt. Im ganzen Land sind immer noch tausende von Aufständischen wegen “Hochverraths”eingesperrt. Struve, Blind und Joseph Fickler sind die bekanntesten. Der Prozeß gegen Struve und Blind ist der erste öffentliche Schwurgerichtsprozeß in Baden. Er beginnt am 20. März 1848 im Saal des “Basler Hofes”, des früheren Regierungssitzes Vorderösterreichs. Die Angeklagten nutzen die Tribünes des Gerichts für ihre politischen Auffassungen und sie verteidigen das Recht des Volkes zur Revolution. Der Prozeß endet mit einem moralischen Sieg für die Angeklagten, obwohl sie zu je acht Jahren Zuchthaus verurteilt werden. Struve und Blind werden zur Haftverbüßung nach Rastatt gebracht. 

 

Der Landesausschuß der Volksvereine konzentriert seine Agitation mittlerweile gezielt auf die unzufriedenen Soldaten der großherzoglichen Armee. Besonders populär ist die Forderung, die Mannschaften sollten ihre Unteroffiziere und Offiziere selbst wählen. Die Republikaner wollen für die kommende Erhebung unbedingt vermeiden, daß es wie 1848 erneut zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Soldaten und Freischärlern kommt. Die deutsche Nationalversammlung beendet im März ihre Verfassungsdebatte und verabschiedet eine Reichsverfassung, die als Staatsform eine konstitutionelle Monarchie mit einem deutschen Kaiser an der Spitze vorsieht. Am 28. März 1849 beschließt das Parlament die “kleindeutsche Lösung”, also ein deutsches Reich ohne Österreich. Das Parlament bietet dem preußischen König Wilhelm IV. die Kaiserkrone an. Dieser lehnt “das Hundehalsband” brüsk ab und teilt den Abgeordneten mit, daß Kronen nur von ihm und seinesgleichen, nicht jedoch von Parlamentarieren verliehen würden. “Gegen Demokraten helfen nur Soldaten”, vertraut er einem Diplomaten an. Die wichtigsten deutschen Königreiche und Fürstentümer weigern sich, die Reichsverfassung zu übernehmen, nur 28 kleinere und mittlere Staaten sind dazu bereit. Der badische Großherzog Leopold akzeptiert die Reichsverfassung am 11. April, allerdings mit dem Vorbehalt, daß auch alle anderen deutschen Staaten zustimmen müßten. 

 

Der letzte Versuch - vorerst

 

Die Hoffnung auf ein halbwegs demokratisch verfaßtes Gesamtdeutschland ist mit der Weigerung Preußens, die Reichsverfassung anzuerkennen dahin. “Der Kampf zwischen den Fürsten und den Völkern ist aufs neue eröffnet”, heißt es in einem Flugblatt des Landesausschusses der Volksvereine, das im Mai im ganzen Land verteilt wird. In Sachsen und im preußischen Rheinland brechen vorzeitig bewaffnete Aufstände aus die von Preußen rasch niedergeschlagen werden. Die Pfalz und Baden stehen Anfang Mai in dem letzten Versuch, doch noch die Republik einzuführen, alleine da. Aus ganz Europa eilen Revolutionäre aller Schattierungen zur Unterstützung des heraufziehenden Entscheidungskampfes heran.

 

Die Arbeit der Volksvereine unter den Soldaten beginnt sich auszuwirken. Am 10. Mai 1849 findet in Freiburg unter der Leitung von Karl von Rotteck eine Soldatenversammlung auf dem Kanonenplatz statt. Die Soldaten geloben, nicht auf das Volk zu schießen, wenn es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen sollte. In Karlsruhe, Bruchsal, Lörrach und in anderen Garnisonen meutern tags darauf die Soldaten gegen ihre Offiziere. Die gesamte Besatzung der Bundesfestung Rastatt wechselt am 12. Mai die Fronten. Kriegsminister Hoffmann und einige Offiziere können nur mit knapper Not entfliehen. Am frühen Morgen sind bereits die in der Festung inhaftierten Revolutionäre Gustav Struve und Karl Blind nach Bruchsal verlegt worden. Ein taktischer Fehler, denn ihre Begleitmannschaft bringt die Nachricht von der Rebellion in Rastatt mit. Noch am Abend werden Struve und Blind von meuternden Soldaten befreit. 

 

Am 12. Mai beginnt die Offenburger Volksversammlung mit einer Vorbesprechung im Landesausschuß der  Volksvereine. “Die Landes-Volksversammlung in Offenburg erklärt: Deutschland befindet sich fortwährend im Zustande voller Revolution“, erklärt die Versammlung. Eine Delegation unter Führung von Karl von Rotteck soll in Karlsruhe die friedliche Übergabe der Regierungsgewalt an den Landesausschuß erwirken. Ministerpräsident Bekk lehnt das Ansinnen jedoch ab und Rotteck kehrt mit dieser Antwort nach Offenburg zurück. 

Der Großherzog flieht

 

Angesichts der Meuterei des Militärs auch in Karlsruhe flieht der Großherzog in der Nacht des 13. April in die Bundesfestung Germersheim, dann weiter ins Elsaß. Von dort ruft er preußische Interventionstruppen zur Niederschlagung des Aufstandes nach Baden. 

Die Unterstützung des badischen Aufstandes durch parallele Aktionen in Hessen und Württemberg bleibt aus. Die Hoffnung, daß auch die hessischen Soldaten die Fronten wechseln, zerschlägt sich. Der Versuch, die Revolution militärisch zu exportieren und nach Frankfurt, dem Sitz der Nationalversammlung vorzustoßen, mißlingt am 30. Mai bei Hemsbach. Anfang Juni marschieren im Rhein-Main-Gebiet die preußischen Interventionstruppen auf. Ein Armeekorps unter dem Kommando von General von Hirschfeld dringt in die Pfalz ein und treibt die revolutionären pfälzischen Truppen zum Rhein bei Ludwigshafen, wo sie sich nach Baden zurückziehen müssen. Am Neckar und an der Murg verlieren die 30.000 Mann badischen Truppen die entscheidenden Gefechte gegen das mit 60.000 bestausgerüsteten Soldaten haushoch überlegene preußische Invasionsheer, das unter dem Kommando des Kronprinzen Wilhelm steht. Der “Kartätschenprinz”, wie er im Volksmund genannt wird, zieht am 25. Juni 1849 mit seinen Truppen kampflos in der Residenzstadt Karlsruhe ein. Die provisorische Revolutionsregierung hat sich wenige Stunden zuvor nach Freiburg zurückgezogen, zivile und militärische Strukturen lösen sich rasch auf. 

 

Freiburg wird besetzt 

 

Der preußische Armeegeneral von Hirschfeld besetzt am 7. Juli kampflos Freiburg.  Das Kriegsrecht dringt in alle Bereiche des Lebens ein. Der Leiter der Königlich-preußischen Kommandantur, Major von Wangenheim, verbietet am 12. Juli die fortschrittliche “Oberrheinische Zeitung” und fordert am Tag darauf die Bürger zur Denunziation gegen “politische Proselytenmacher und sogenannte Volksbeglücker von Profession” auf. 

 

Mitte Juli nehmen die Standgericht genannten badisch-preußischen Militärtribunale ihre blutige Arbeit auf. In Freiburg werden drei Todesurteile vollstreckt: Max Dortu, Friedrich Neff und Gebhard Kromer werden auf dem Wiehre-Friedhof standrechtlich erschossen. Viele andere Revolutionäre und Sympathisanten werden in die Kasematten von Rastatt, Bruchsal und Freiburg eingesperrt. 

 

Am 18. August kehrt Großherzog Leopold nach Karlsruhe zurück, empfangen von einer demütig huldigenden Bürgerschaft. Auch aus Freiburg reist eine Delegation unter Führung von Bürgermeister Joseph von Rotteck in die Residenz, um den Großherzog zu feiern. In einer Proklamation beklagt Großherzog Leopold den “schmachvollsten Aufruhr, den die deutsche Geschichte kennt” und kündigt an, daß “die Strenge des Gesetzes ... gegen die Frevler an Gut und Blut eines sonst so glücklichen Volkes” walten müsse. 

 

Die Revolution, die in diesem Jahr zu Recht so genannt werden durfte, ist damit endgültig “geschlossen”. Die liberale Regierung Bekk muß einem Kabinett weichen, das von Friedrich Adolph Klüber geführt wird. Der neue starke Mann der badischen Politik stand lange im Dienste des Königreich Preußens und er übernimmt nicht nur das Staatsministerium, sondern auch das Außenministerium. Er wird der Garant für den starken Ausbau der Beziehungen zwischen Baden und Preußen in den kommenden Jahren. Die badische Armee wird völlig neu aufgebaut - in preußischen Garnisonen und unter preußischem Exerzierreglement. Der Belagerungszustand über das Großherzogtum wird von Preußen mehrfach verlängert und erst 1852 aufgehoben. 18.000 preußische Soldaten bleiben darüberhinaus in Baden stationiert. Eine Amnestie für die Aufständischen von 1848/49 kommt erst im Jahre 1862 zustande.

 

Die Niederwerfung des badischen Aufstandes markiert zugleich das Ende der revolutionären bürgerlichen Freiheits- und Einheitsbestrebungen für lange Zeit und den Beginn der preußischen Hegemonie in Deutschland. Damit ist die Phase demokratischer Reformen zunächst beendet. Das Bürgertum begnügt sich mit der freien Marktwirtschaft, die auch unter der Herrschaft der Monarchen zunehmend gefördert wird. Der Frühkapitalismus expandiert und schafft die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufschwung - auf Kosten der Ausbeutung des entstehenden Industrieproletariats, mit Kinderarbeit, 14-Stunden-Tag und politischer Rechtlosigkeit. Nach dem Krieg gegen Frankreich  einigen der preußische König Wilhelm und sein Reichskanzler Bismarck das deutsche Reich am 18. Januar 1871 "mit Schwert und Eisen" - im Spiegelsaal von Versailles! Der “Kartätschenprinz” wird deutscher Kaiser. 

 

Erst nach dem Ersten Weltkrieg, mit der Revolution von 1918/19 werden demokratische Forderungen von 1848/49 Wirklichkeit: Allgemeines Wahlrecht - auch für Frauen, Rede- und Pressefreiheit, Republik. Doch die “Weimarer Republik” hat keinen langen Bestand. Nach der nationalsozialistischen Diktatur und einem verheerenden Zweiten Weltkrieg verwirklichten die Länderverfassungen und das Grundgesetz nach dem 2. Weltkrieg erstmals dauerhaft zentrale Elemente der bürgerlich-demokratischen Revolution..

 

 

 

 

 

1982 haben Schülerinnen und Schüler des Ludwig-Wilhelm-Gymnasiums Rastatt eine aktuelle Neuauflage der damaligen Lokalzeitung "Festungs-Bote" gestaltet.

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